Kraftwerksneubau im Kamptal: NGOs fordern „Flüsse-Gipfel“ von der NÖ-Landesregierung

Presseaussendung „Aktionsgruppe Lebendiger Kamp“

++ EVN-Projekt mit EU-Wasserrahmenrichtlinie und Naturschutz nicht vereinbar ++

Flussabschnitt mit Wildnis-Charakter oberhalb der Stauwurzel des alten KW Rosenburg. Das Ufer im Bereich des Oberwassers beim Öden Schloss würde im erweiterten Stausee versinken (2,5 Meter Erhöhung gepant).  (c) Matthias SchickhoferWien, am 10. Dezember 2015 – Fast auf den Tag genau 21 Jahre nach dem Beginn der Besetzung der Hainburger Au verkündete die EVN kürzlich, das alte Kraftwerk Rosenburg im Europaschutzgebiet Kamptal abreißen und durch eine größere Anlage ersetzen zu wollen. Alle großen Naturschutzorganisationen lehnen einen Kraftwerksausbau an diesem Standort ab und haben ausführliche Einwände eingebracht. Die EVN hat ihre Bedenken jedoch ignoriert und will eine bereits im Juni favorisierte Ausbau-Variante unverändert zur Genehmigung durch ihren Mehrheitseigentümer, das Land NÖ, einreichen. „Das Kraftwerk Rosenburg ist ein Affront gegen den Naturschutz und die Bürgerbeteiligung! Energetisch und für den Klimaschutz spielt es keine Rolle, aber es vernichtet kilometerweise Flussnatur“, so die Vertreter von WWF, Naturschutzbund und Riverwatch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien.

Die NGOs fordern nun vom EVN-Eigentümer-Vertreter Landeshauptmann Erwin Pröll und Umweltlandesrat Stephan Pernkopf einen „Flüsse-Gipfel“, um weitere Konflikte zu vermeiden und intelligente Lösungen zu finden. Statt unsinnige Kraftwerke in Schutzgebiete zu bauen, solle das Land lieber auf nachhaltigen Naturtourismus setzen. Die intakte Natur des Kamptals als Erlebnis- und Erholungsraum sei schließlich ein unersetzliches Kapital für die Region, so die Naturschutzorganisationen.

Minimaler Stromgewinn – großer Verlust für den Kamp

Mittlere Kamp im Waldviertel, NÖ © W.Gamerith/4nature Die EVN will das alte Lauf-Kraftwerk am wildromantischen Umlaufberg durch eine größere Anlage ersetzen: Der bestehende Damm soll auf 6,5 Meter erhöht und die natürliche Flusssohle entlang von 1,2 Kilometern um 1,5 Meter vertieft werden. Der Stauraum würde sich dadurch auf insgesamt einen Kilometer verlängern und einen ökologisch wertvollen, äußerst idyllischen Talabschnitt mit Wildnis-Charakter in einen öden See verwandeln.

Der Waldviertler Autor und Fotograf Werner Gamerith war Teil des Bürgerwiderstands, der 1983 ein Großkraftwerk an derselben Stelle verhindern konnte. Für ihn steht die Glaubwürdigkeit der NÖ Landespolitik in Energie- und Umweltfragen nun erneut auf dem Prüfstand. „Für eine lächerlich geringe Energieausbeute soll in Zeiten eines Stromüberangebotes einer der wenigen verbliebenen wertvollen Abschnitte des Flusstales dauerhaft geschädigt werden? Der Kamp ist bis bereits jetzt durch die bestehende Kraftwerkskette bis in den Unterlauf belastet. Der Hausverstand sagt einem, dass Stauen und Ausbaggern zusätzliche Belastungen bringen. Das macht die gemäß EU-Wasserrahmenrichtlinie vorgeschriebene Sanierung des Kamps unmöglich. Wie soll ein Kraftwerksausbau hier ohne Rechtsbeugung durchsetzbar sein?“, schüttelt Gamerith den Kopf.

Pseudo-Einbindung der NGOs durch die EVN Obwohl es laut der internationalen Aarhus-Konvention für Österreich verpflichtend ist, anerkannte Umweltorganisationen in wichtigen Umweltfragen einzubinden, wurden die Stellungnahmen der NGOs zum Kraftwerk Rosenburg nicht berücksichtigt. Margit Gross, Geschäftsführerin des Naturschutzbund Niederösterreich, kritisiert: „Angesichts der gravierenden Auswirkungen des Projektes auf Landschafts- und Naturschutz wäre die EVN gut beraten gewesen, die Expertenmeinungen ernst zu nehmen. Was am Kamp passiert ist, war ein Missbrauch der Bereitschaft der NGOs, sich fachlich einzubringen und hat der Idee der Bürgerbeteiligung sehr geschadet.“ Für einen ernst gemeinten Dialog im Zusammenhang mit einer Sanierung – nicht eines Neubaus – des Kraftwerks Rosenburg stehe man jedoch weiterhin zur Verfügung.

Für Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch, ist das EVN Projekt Rosenburg der Versuch, den Ausbau des Kamp und vieler weitere Flüsse Niederösterreichs – getarnt als Sanierung – voranzutreiben. Das Land NÖ wolle die Stromerzeugung bis 2030 um rund 470 GWH ausbauen. Den Großteil davon sollen Kleinwasserkraftwerke erbringen. Wenn all diese Kraftwerke, nach dem Vorbild des Kamp, „erneuert“ werden, dann würde das bedeuten: Hunderte Kilometer mehr gestaute Flüsse, noch mehr massive Eingriffe in geschützte Lebensräume und Verschlechterungen für bedrohte Arten. Außerdem sei der Stromgewinn gar nicht notwendig, denn in NÖ produzieren fünf Großwasserkraftwerke insgesamt 59 Prozent des Stroms, dagegen weitere 567 kleinere Wasserkraftwerke nur vier Prozent. Eichelmann erklärt: „Was die EVN hier plant, ist eine Flusszerstörung im neuen Gewand. Die Entfernung des Stauwehres in Rosenburg ist aus ökologischer und ökonomischer Sicht die einzig sinnvolle Variante. Niederösterreich braucht nicht mehr Kraftwerke, sondern mehr intakte Flüsse!“

WWF: Keine Kraftwerke in Schutzgebieten Fast zwei Drittel der heimischen Fließgewässer sind bereits durch Wasserentnahme, Aufstau, Regulierungen oder Begradigungen ökologisch degradiert. Gleichzeitig braucht es unbestritten eine Energiewende. WWF-Flussexperte Christoph Litschauer: „Es ist grundsätzlich sinnvoll, bestehende Kraftwerke zu optimieren. Entscheidend für den Ausbau ist jedoch die Wahl der richtigen Standorte! Rosenburg ist bereits das zweite EVN-Kraftwerksprojekt, das in einem Europaschutzgebiet geplant wird und es widerspricht dem Ökomasterplan des WWF“, so Litschauer. Für ihn geht es um mehr als um ein lokales Wasserkraftwerk: Österreich hat mit rund 75 Prozent bereits einen der höchsten Ausbaugrade der Wasserkraft weltweit.

Klimaschutz nicht gegen Naturschutz ausspielen Die Naturschutzorganisationen sprechen sich daher für die Varianten „Bestandssanierung“, also Modernisierung des Kraftwerks ohne dauerhafte Eingriffe in den Fluss, oder die Variante „Flusssanierung“, also den Rückbau der Kraftwerksanlage, aus. Klimaschutz erfordere eine umfassende Strategie und dürfe nicht dafür herhalten, für eine magere Stromausbeute letzte Naturräume zu zerstören, zumal in NÖ bereits 572 Wasserkraftwerke stehen. Außerdem müssen gleichzeitig alle Effizienzpotentiale genutzt werden, wenn eine echte Energiewende angestrebt wird.

Die Naturschutzorganisationen richten daher an das Land Niederösterreich als Mehrheitseigentümer der EVN -  allen voran Landeshauptmann Erwin Pröll und den zuständigen Landesrat Stephan Pernkopf - den dringenden Aufruf, im Rahmen eines „Flüssegipfels“ eine umfassende und nachhaltige Lösung für Naturschutz und Klimaschutz in Niederösterreich zu erarbeiten.

Weitere Informationen: lebendiger-kamp.at

Drucktaugliche Fotos der Natur im Kamptal stehen unter www.wwf.at/presse zur Verfügung.

Rückfragehinweis:  Margit Gross, Geschäftsführerin Naturschutzbund NÖ, Tel. 0676–76067 99, E-Mail: margit.gross@naturschutzbund.at

Claudia Mohl, WWF Österreich Pressesprecherin, Tel, 01/48817-250, E-Mail: claudia.mohl@wwf.at

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